PROJEKTTAGE
« L’INFINI »
2016
In den Veranstaltungen innerhalb der Projektage 2016 begegnen sich Kunst (Musik, Raum- und Lichtkonzept) und Wissenschaft (Astronomie) in Form von zwei Konzerten in einer Raum-und Lichtinstallation. Die Rauminstallation mit Lichtbildern vom Teleskop ist auch als Ausstellung zugänglich. Ein Vortrag über Astronomie ist ebenfalls vorgesehen. Die Frage nach dem “L‘infini”, dem Unendlichen oder den Unendlichkeiten führt zur Auseinandersetzung mit dem Raum ausserhalb des menschlichen Lebenskreises, zur Kosmologie. Daneben öffnet Musik den inneren Raum, erweitert ihn zur Wahrnehmung von ‚etwas Unendlichem‘. Musik als “Unendlichkeit im Augenblick”. Zeitraum der Projekttage: 24. Juni 2016 bis 3. September 2016.
Am 24. Juni 2016 beginnen die Projekttage mit einem Konzert in der Klangzusammenstellung: menschliche Stimme und Schlaginstrumente. Die belgischen Musiker Elise Gäbele (Sopran) und Pierre Quirini (Schlaginstrumente) interpretieren Werke von G. Kurtag, L. Berio, G. Scelsi und I. Xenakis. Beide Künstler haben sich in der Brüsseler Musikszene und darüber hinaus einen Namen gemacht. Dietlind Bertelsmann entwirft das Konzept für eine Raum-und Lichtinstallation, in der das Publikum den Ablauf des Konzertes räumlich/szenisch erlebt, sozusagen als Teil von ihr. Grossformatige Lichtbilder (schwarz-weiss) des belgischen Astrophysikers Gabriel Bihain bilden einen Raum (Weltraum) im Raum (Diele des Hauses Bertelsmann) um das Publikum herum. Die Veranstaltung trägt den Titel “Man is but a flower”.
Am 1. Juli 2016 hält Dr. Gabriel Bihain vom Leibnitz - Institut für Astrophysik Potsdam (IAP) einen Vortrag über neue Ergebnisse der Suche und dem Studium “kleinerer Teilchen” des Universums, wie der “braunen Zwerge” und Exoplaneten. Titel des Vortrags “Von Sternen zu Sandkörnern”.
Die Rauminstallation mit Lichtbildern von Gabriel Bihain ist anschliessend als Ausstellung dem Publikum zugänglich, vom 2. bis 31. Juli 2016.
Für den 3. September 2016 gestaltet Friedrich Gauwerky einen Konzertabend im ungewöhnlichen Zusammenklingen von Violoncello, Akkordeon und Klarinette. Drei renommierte Künstler, Nina Janssen-Deinzer (Klarinette), Friedrich Gauwerky (Violoncello) und Claudia Buder (Akkordeon) interpretieren den “Tierkreis” von Karlheinz Stockhausen neben Werken von John Cage, Giacinto Scelsi und Klaus Huber. Titel dieser Veranstaltung ist « Énigme ».
Konzert in einer Rauminstallation
Elise Gäbele: Sopran
Pierre Quirini: Schlaginstrumente
Gabriel Bihain: Lichtbilder vom Teleskop (Kanarische Inseln)
Dietlind Bertelsmann: Raum- und Lichtkonzept, szenische Leitung
Raymond Hassfeld: technische Einrichtung, Beleuchtung
Menschliche Stimme – Schlaginstrumente
Für die ersten musikalischen Äusserungen, die der frühe Mensch dem Kosmos abgelauscht hat, waren wohl die eigene menschliche Stimme und aufeinander geschlagene Materialien die naheliegensten Instrumente. Diese archaischen Musikinstrumente stehen auch für das Gegenüber von klingender Innenwelt (die Stimme) und Aussenwelt (der durch Anschlagen hörbare Eigenklang irdischer Materialien). Dieses Gegenüber, diese Reduktion auf die dem Menschen unmittelbarsten Klangerzeugungen, ist es wohl auch, was zeitgenössische Komponisten reizt, für die Kombination Stimme – Schlagzeug zu komponieren. Nach einer langen Entwicklung zu grossen, komplexen Formen von Musikereignissen zurück zu gehen zu diesem archaischen Ausgangspunkt, um in ihm auch eine zeitgenössische, auf das Wesentliche reduzierte Ausdrucksweise zu finden. M.Kiedaisch
Giacinto Scelsi: “Three-latin prayers” (Ave -Maria) für Sopran-Solo, 1970
”K o-Tha” für Schlaginstrumente (Gitarre) 1967
“Hô” I und II für Sopran-Solo 1960
Iannis Xenakis: “Rebonds” B für Schlaginstrumente 1987-1989
Luciano Berio: “Sequenza” III für Sopran-Solo 1966
Giacinto Scelsi: “Ogloudoglou” für Sopran und Schlaginstrumente 1967
“Hô” IV für Sopran-Solo 1960
Iannis Xenakis: “Psappha” für Schlaginstrumente 1975
György Kurtag: “Fragmente nach Gedichten von Attila Jozseph” für Sopran-Solo 1981
Giacinto Scelsi: “Three latin prayers” (Alleluia) für Sopran-Solo 1970
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Vortrag
Dr. Gabriel Bihain – Leibniz Institut für Astrophysik Potsdam (AIP)
TEIL 1. Astronomie und Musik
Wissenschaft (Astronomie) und Kunst (Musik) ähneln sich in der Erkenntnis und Darstellung zeitlicher Ereignisse im menschlichen Raum, über die scheinbar grenzenlosen Weiten des Kosmos und der Kreativität. Beide haben einen starken Bezug zur Mathematik, explizit oder implizit, und wirken auf die Erweiterung der Sinneswahrnehmungen und der Sensibilität. Die Frage nach dem Sinn des Universums führt in das Immaterielle wie die Musik.
TEIL 2. Von Sternen zu Sandkörnern
Im 16. Jahrhundert waren etwa tausend Sterne bekannt. Heute sind mit Hilfe der Teleskope einige hundert Milliarden von Sternen in und um unsere Galaxie, die Milchstraße, geschätzt, dazu kommen noch einige hundert Milliarden Galaxien in unserem bekannten Universum. In diesem Vortrag werden neue Ergebnisse der Suche und dem Studium kleinerer „Teilchen des Universum“, wie der „Braunen Zwerge“ und Exoplaneten geschildert. Diese freischwebenden oder sterngebundenen Objekte wurden hauptsächlich in jungen, offenen Sternhaufen, in der Nähe der Sonne und in der Richtung des Bulge unserer Galaxie entdeckt.
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Gabriel Bihain: Lichtbilder vom Teleskop (Kanarische Inseln)
Dietlind Bertelsmann: Rauminstallation
Astronomische Aufnahmen von Teleskopen sind vom Instrument geprägt und dienen als Basis für die Datenanalyse und Visualisierung. Sie verbinden gleichzeitig die astrophysikalische, beinahe unendliche Weite mit dem Hier und Jetzt, und damit auch mit der Weite der Vorstellungskraft. Die Ausstellung zeigt eine Zusammenstellung von Aufnahmen verschiedener Himmelsregionen, vorwiegend von den Sternwarten der Kanarischen Inseln gemacht.
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Konzert
Nina Janssen-Deinzer (Klarinette)
Friedrich Gauwerky (Violoncello)
Claudia Buder (Akkordeon)
Das Programm ist eine musikalisch-künstlerische Reflexion des Universums als physikalische und metaphysische Größe
Karlheinz Stockhausen: „Tierkreis“ (1974/77)
Version für Klarinetten, Violoncello und Akkordeon von Prasqual (2016)
Wassermann – Fische – Widder/ Stier – Zwillinge – Krebs
Uraufführung dieser Fassung
Giacinto Scelsi: “Tre Studi” für Es-Klarinette (1954)
Toshio Hosokawa: “Sen V“ für Akkordeon (1991/92)
Karlheinz Stockhausen/Friedrich Gauwerky: Drei Stücke aus “Amour” für Violoncello
(1976/2013)
Klaus Huber: “Ein Hauch von Unzeit” Version für Klarinette, Violoncello und Akkordeon
(1972)
John Cage: “Atlas Eclipticalis” Version für Klarinetten und Violoncello (1961/62)
Karlheinz Stockhausen: „Tierkreis“(1974/77)
Fassung von Prasqual (2016)
Löwe – Jungfrau – Waage – Skorpion – Stier/Widder – Schütze – Steinbock
Uraufführung dieser Fassung
Im Zentrum steht das Werk “Atlas Eclipticalis” von John Cage, in dem Cage die Sternkarte der Ecliptik des Astronomen Becevar als Grundlage für eine musikalische Komposition genommen hat, bei der die Sterne als Notenköpfe angesehen werden, und deren musikalische Gestaltung abhängt von der Grösse des Sterns und seinem Abstand zu den weiteren Sternen. Dabei hatte Cage keineswegs eine irgendwie geartete spirituelle Sicht auf die Sternenwelt des Universums im Sinn, sondern sein Hauptanliegen war, die Sternenwelt, so wie sie sich in den Karten darstellte, als Grundlage für seine Zufallsoperationen zu nehmen und damit in direkter Weise die Natur, wie sie sich durch die Sternenwelt darstellt, zur Grundlage einer musikalischen Komposition werden zu lassen. Anders stellt sich die Sichtweise von Karlheinz Stockhausen auf die Sternenwelt dar: als tiefgläubiger Mensch hat das Universum für ihn immer auch eine spirituelle Bedeutung, was in Kompositionen wie “Sirius” und “Spiral” überdeutlich wird. Natürlich wird das auch deutlich in der Komposition “Tierkreis” von 1974/75, in der ja die aus der Astronomie hergeleiteten und ins Astrologische transferierten Sternformationen als Grundlage der Komposition genommen werden. Hier interessiert Stockhausen eben nicht das Universum, wie es wissenschaftlich erforscht wird, sondern die astrologischen Spekulationen, die daraus hergeleitet werden.Stockhausen hat für die Tierkreis-Komposition für jedes der zwölf herkömmlichen Tierkreiszeichen Melodien für die Melodieinstrumente und Akkordsätze für Tasteninstrumente geschrieben. Das Werk kann also auf jedem Melodieinstrument und jedem Tasteninstrument sowie in kammermusikalischen Kombinationen von beiden Instrumententypen aufgeführt werden. Die Interpreten sind angehalten, sich ihre eigenen Fassungen zu erstellen, wozu Stockhausen umfangreiche Anleitungen gibt. Das Werk „Ein Hauch von Unzeit” von Klaus Huber hat den Untertitel « Plainte sur la perte de la reflexion musicale », es stellt also eine Klage dar über den Verlust der musikalischen Reflexion. Zwar hat Huber nicht direkt das Universum als Hintergrund des Werkes im Sinn, sein Werk hat aber ein in der Astrophysik sehr wichtiges Thema zum Inhalt, nämlich das Verhältnis von Zeit und Raum. Beginnen tut es mit dem Klagelied aus der Oper „Dido und Aeneas” von Henry Purcell. Das Klagelied geht über in eine immer freier und langsamer werdende Verarbeitung der Motive des Purcell-Zitats, wobei mit dem Prozess der permanenten Verlangsamung auch ein ständiges Leiserwerden einhergeht, bis sich die Komposition quasie im Nichts auflöst. Ähnlich wie bei Stockhausen hat Huber das Werk so konzipiert, dass es sowohl auf buchstäblich jedem Melodieinstrument, als auch jedem Tasteninstrument sowie in kammermusikalischen Kombinationen der beiden Instrumentengattungen aufgeführt werden kann. Der Komponist Giacinto Scelsi ist einer der esoterischsten Komponisten, die ich kennengelernt habe. Auch er hat nichts im Sinn mit dem physikalischen Universum, das Universum ist aber quasi omnipresent in seinen Werken als metaphysische Grösse.
Friedrich Gauwerky
Wir danken den Förderern der PROJEKTTAGE 2022 "VOIX DU SILENCE" :
Landschaftsverband Stade mit Mitteln des Landes Niedersachsen
Musikfonds der Stiftung Worpswede
Waldemar-Koch-Stiftung